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HISTORISCHER ZEITUNGSARTIKEL:
Illustriertes Sportblatt

19.9.1925

Historisches Logo der Zeitung »Illustriertes Sportblatt«

Georg Orths Verhängnis.

Ungarns Fußballwelt ist in tiefer Trauer. Der Stolz, die Freude Ungarns, Gyuri Orth, ist bei seinem letzten Spiel in Wien einem tückischen Zufalle zum Opfer gefallen und auf lange Zeit dem Fußballsport entzogen worden. Und das gerade vor dem Spiele gegen Österreich, in dem er die ungarische Mannschaft zum heißersehnten Siege führen sollte!

Wir sind überzeugt, daß die österreichischen Fußballfreunde ohne Ausnahme das traurige Schicksal Orths auf das Innigste bedauern. Der Schrecken, der über der vieltausendköpfigen Menge lastete, als in dem verhängnisvollen Augenblicke Orth, der eben noch durch seine unvergleichliche Kunst alle entzückt hatte, hilflos am Boden lag und seine verzweifelten Mitspieler in Tränen ausbrachen, war beredt genug. Kaum ein Spieler einer fremden Mannschaft ist in Wien so beliebt, wie gerade Orth, dessen elegantes und dabei immer peinlich faires Spiel ja dem Wiener Geschmack ja so nahe kommt. Dem feinen Wiener Geschmacke, so meinen wir, denn leider findet ein Teil unserer Zuschauer noch immer an dem Gegenteil von Orths Spiel, an dem wilden und rücksichtslosen Ausnützen von Körperkraft und an der Anwendung von Gewaltmitteln, Gefallen.

Orth spielen zu sehen, ist für jeden Menschen, der nur ein wenig Sinn für die Schönheit hat, die in der Gewandtheit des menschlichen Körpers liegt, immer ein Hochgenuß. Orth ist nicht ein Spieler wie viele andere, er ist auf seinem Gebiete ein wahrer Künstler. Er hat gezeigt, daß auch das Fußballspiel eine Kunst sein kann, die ästhetisches Wohlgefallen erregt. Wir haben in Wien erst einen einzigen Spieler gehabt, der jene leichte Eleganz der mühelosen Bewegung besaß: Karl Braunsteiner, den allzu früh Dahingegangenen.

Der arme Orth ist nun auf lange Zeit dem Sport entzogen und niemand kann sagen, wann er ihm wieder zurückgegeben sein wird. Knieverletzungen sind das Schrecklichste, was einem Fußballer geschehen kann. Die gezerrten und gequälten Bänder erlangen in den seltensten Fällen die alte Spannkraft wieder. Gehen wird der Arme ja bald wieder können, aber zwischen gehen und Fußballspielen ist ein großer Unterschied.

Tandler hat sicher nicht die Absicht gehabt, den Gegner zu verletzen, es war ein unglücklicher Zufall, ein Verhängnis, das Georg Orth zur Strecke brachte. Tandler ist aber einer von den in Wien nur allzuhäufig vorkommenden Spielern, die sich unter allen Umständen Respekt bei den Gegnern verschaffen wollen und im Angehen des gegnerischen Spielers keine Rücksicht kennen, keine Rücksicht auf den Menschen und keine Rücksicht auf den Arbeitsgenossen, dem heute das Spielen genau so der Broterwerb ist. Tandler ist ein Typus, aber er ist, wie gesagt, nicht der einzige in Wien. Und so bedauerlich es ist, der Typus wird geschätzt, weil er nützlich ist und tatsächlich den Erfolg verbürgt. Daß man ein glänzender Verteidiger sein und dabei doch immer die größte Rücksicht auf den Gegner nehmen kann, das möge als Beweis Rainer zeigen, um von anderen, glücklicherweise vorhandenen, zu schweigen.

Und wieder einmal sei darauf hingewiesen, daß unsere Schiedsrichter das rücksichtslose Spiel begünstigen, indem sie es nicht ahnden. Das kraftvolle Rempeln mit der Schulter gilt ihnen als todeswürdiges Verbrechen, der furchtbare, erbarmungslose Schlag in den Ball, der sich am Fuße des Gegners befindet, ist ihnen eine Selbstverständlichkeit. Wehe dem Schiedsrichter, der in einem Falle einschreiten wollte, in dem eine schwere Gefahr nur durch glückliche Schicksalsfügung an dem Körper des Bedrohten vorüberging! Der einen Mann ausschließen wollte, der rücksichtslos in den Gegner hineinschlug, ihn aber, nicht aus eigenem Verdienst, nicht traf! Von allen Seiten würde ihm vorgehalten werden, daß dem Gegner ja "ohnehin nichts passiert sei"! Und so heißt es eben warten, bis das Unglück geschehen ist, und dann beschwörend die Hände ausbreiten, die man sich vergebens in Unschuld zu waschen hofft.

Es wird schon wieder viel zu scharf gespielt. Überall und an allen Orten. So wird keine Propaganda für den Fußballsport getrieben, dem sich ohnehin schon längst keine zarter besaiteten Naturen mehr zuwenden. Es ist nicht das schlechteste Material, das da ausbleibt und dem Sport verloren geht!

Georg Orths Verhängnis möge den anderen, die es angeht, eine ernste Mahnung sein, daß es ihnen genau so gehen kann. Auch denen, die mit den Rücksichtslosigkeiten beginnen und es dazu bringen, daß ihnen der gereizte Gegner mit der gleichen Münze heimzahlt. Die gesamte Sportgemeinde Wiens möge sich in dem herzlichen Wunsche einen, daß Orths Verletzung keine dauernde sei und daß sein Unglück mildere Sitten auf unseren Fußballfeldern herbeiführe, als sie jetzt leider an der Tagesordnung sind.

*

Dieser Artikel war bereits vor dem Sonntag geschrieben. An diesem Tage ereignete sich dann nach dem Schlusse jener tief bedauerliche Vorfall, der zu einer Schädigung des Hakoahners Schwarz führte. Ein Zivilist, Tandlers Bruder, hatte sich zum Rächer seines Bruders an Schwarz aufgeschwungen, weil Tandler nach einem Zusammenstoß mit Schwarz auf kurze Zeit ausgeschieden war. Über die Sache wird ja ein außersportliches Forum zu entscheiden haben. Hier sei ausdrücklich festgestellt, daß Tandler an diesem Tage sich einer fairen und auch rücksichtsvollen Spielweise bediente und daß er trotzdem ausgezeichnet war. Was er sich für ein andermal gesagt sein lassen soll. Es geht auch so, wenn man nur den guten Willen dazu hat.

Historischer Zeitungsartikel: Illustriertes Sportblatt, 19.9.1925

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