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HISTORISCHER ZEITUNGSARTIKEL:
Österreichische Volks-Zeitung

31.3.1916

Historisches Logo der Zeitung »Österreichische Volks-Zeitung«

Kleider und Wäsche aus Brennesseln.

Mitten im Kriege ist in einem Laboratorium der Wiener Universität eine Erfindung gemacht worden, die noch im Frieden ihre Wirkungen tun und uns auf einem Gebiete vom Ausland unabhängig machen wird, auf dem die Engländer heute uns "auszuhungern" glauben: auf dem Gebiete der Webstoffe. Professor Oswald Richter, der an der Wiener Universität Botanik lehrt, hatte die Erfindung gemacht, während er schon als Offizier russische Gefangene bewachte.

Er hatte das alte Nesselproblem mit modernen Mitteln gelöst und aus den Fasern der Brennessel einen Webstoff herausgearbeitet, der uns heute Leinen und Baumwolle ersetzt. Im Ingenieur- und Architektenverein zeigte vor einigen Tagen Professor Richter erstaunliche Ergebnisse seiner Forschungen und Experimente. Die Gewinnung der Fasern geschieht mit Hilfe von Wasser. Der Mechanismus dieser Gewinnung hat sich so vereinfacht, daß auch zu Friedenszeiten der Anbau von Brennesseln sich lohnen wird.

Professor Richter sagte in seinem Vortrag als ganz sicher voraus, daß wir jetzt nicht bloß unsere Baumwollvorräte "strecken" können, sondern daß wir auch später von der Baumwolleinfuhr aus Amerika unabhängig sein werden. Er ließ nach eingehender technischer Auseinandersetzung die Ergebnisse dieser Arbeit von Hand zu Hand wandern.

Da bekam man zunächst einfache Fasern, die der Laie ganz gewiß für Hanf halten würde. Es sind aber Brennesseln. Dann kamen Zwirne daran, auf große Spulen gerollt, die sich in nichts von den gewohnten Garnen unterscheiden. Dann zeigte Professor Richter einen Knäuel Wolle und schließlich sogar ein Paar Socken, die aus dieser Wolle gestrickt worden waren. Sie sind blendend weiß und weich und unterscheiden sich in nichts von unserer gewohnten Fußbekleidung.

Dann lagen aber auf dem Demonstrationstisch auch eine ganze Menge Spagate, die jedermann für den gewöhnlichen Zuckerspagat oder für ein mäßig dickes Hanfseil ansehen würde. Neben diesen Stoffen gab es noch andere, die Professor Richter gewissermaßen als Abfallprodukte bezeichnet, die aber in dieser Kriegszeit doch von erhöhter Wichtigkeit sind, das ist nämlich eine Watte, die jetzt für unsere Verwundetenpflege auf Monate hinaus Verbandsstoff liefern wird.

Auch Rucksäcke, Brotsäcke, Wagendecken, Plachen, Blusen, Hemden, Pölster, ärztliche Spitalsgewandung, Kinderkleidchen wurden bereits erzeugt. Der Nesselstoff eignet sich ferner zur Erzeugung der Glühstrümpfe für Auerlicht. Eine weitere Eigenschaft der Stoffe besteht darin, daß sie viel Farben aufsaugen und daher sehr gut gefärbt werden können. Schließlich haben sie aber auch die Fähigkeit, leicht Imprägnierung aufzunehmen und undurchlässig für Wasser zu werden.

Mit schnellem organisatorischem Entschluß hat man bei uns aus diesen neuen Experimenten die Schlüsse gezogen. Im Frühjahr schon werden Brennesseln mit Plan und Absicht in der ganzen Monarchie gebaut und geerntet werden, und nach den Ergebnissen dieser größeren Aktion soll dann im nächste Herbst der Brennesselbau im größten Ausmaß erfolgen.

Historischer Zeitungsartikel: Österreichische Volks-Zeitung, 31.3.1916

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