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HISTORISCHER ZEITUNGSARTIKEL:
Mühlviertler Nachrichten

9.10.1925

Historisches Logo der Zeitung »Mühlviertler Nachrichten«

Brauchen die Landarbeiter eine Altersversicherung?

Von Landarbeitersekretär Oeller

Der Nationalrat wird in kurzer Zeit daran gehen, für die Arbeiter eine Altersversicherung zu schaffen. Das Gesetz wird voraussichtlich zustande kommen und die Arbeiterschaft wird der schweren Sorge für die Tage des Alters ledig sein. Was ist es aber mit den Landarbeitern? Die werden ja nicht einbezogen, weil sie auch in der diesbezüglichen Gesetzesvorlage, welche Minister Dr. Resch im Nationalrate eingebracht hat, nicht berücksichtigt sind. Motiviert wurde diese Zurücksetzung mit dem Hinweis, daß die Landarbeiter nicht in jedem Lande eine gesetzliche Krankenkasse haben. Also wie die Dinge liegen, werden die Landarbeiter auf die Wohltat einer Altersversicherung verzichten müssen.

Es liegt nun klar auf der Hand, daß der Landwirtschaft durch diese arge Benachteiligung der Landarbeiter unabsehbarer Schaden erwachsen muß. Der soziale Aufstieg der Industriearbeiterschaft, den die Gesetzwerdung einer Altersversicherung doch bedeutet, muß es mit sich bringen, daß die Landflucht, mit der die Landwirtschaft bisher schon genug zu kämpfen hatte, einen noch weit größeren Umfang annehmen wird. War durch die Einführung des Achtstundentages sowie sonstiger sozialer Einrichtungen - Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung etc. - die Industriearbeiterschaft im Vergleich zur Landarbeiterschaft schon bedeutend besser gestellt, so muß jetzt jene, wo sie auch noch im Besitze der wertvollsten sozialen Errungenschaft sein wird, noch einen weit größeren Anreiz auf die in der Landwirtschaft arbeitenden jungen Leute ausüben. Aus dieser Erkenntnis heraus sage ich: "Die Bauernschaft sollte ein sehr großes Interesse daran haben, daß die in Aussicht stehende Benachteiligung des Landarbeiterstandes noch in letzter Stunde vereitelt wird."

Und die Landarbeiter? Was sollen die zu dieser geplanten Zurücksetzung sagen? Brauchen sie keine Altersversicherung?

Der Landarbeiterstand ist der wichtigste Stand. Diese These wird mir wohl jeder unterschreiben, denn wenn dieser nicht existierte, können die Felder nicht bearbeitet werden, die jahraus jahrein die Nahrungsmittel für die Menschen, bezw. die übrigen Stände liefern. Nun sind aber, vornehmlich in unserem Bundesstaate Oesterreich, gerade die Landarbeiter diejenigen, welche unter all den schaffenden Ständen die längste Arbeitszeit haben. Für die gibt es keinen Achtstundentag. Den Beginn der Frühjahrs-, Sommer- und Herbstarbeiten zeigt ihnen täglich die Sonne an und nur im Winter ist die Arbeitszeit kürzer. Während der Industriearbeiter nach Ablauf der für ihn geltenden Arbeitszeit frei ist und mit den übrigen Stunden des Tages machen kann was er will, kann der Landarbeiter während der Wochentage über keine freie Zeit verfügen. Es bleiben ihm bloß die Sonn- und Festtage, wenn nicht zufällig an diesen dringende Erntearbeiten verrichtet werden müssen. Dazu ist der Dienstlohn nicht allzu hoch, so daß sich ein landw. Arbeiter in der Regel keine nennenswerten Ersparnisse zur Seite legen kann.

Doch alle diese nicht sonderlich ansprechenden Verhältnisse, wie sie im Landarbeiterstande gang und gebe sind, wären gewiß nicht so geeignet, den genannten Stand zu einem völlig benachteiligten zu machen, wie gerade der Mangel jedweder sozialer Einrichtungen im Sinne der schon in den meisten europäischen Staaten bestehenden sozialen Gesetze. Unsere Landarbeiter entbehren einer obligatorischen Krankenkasse, einer Unfallversicherung usw. Das ist es, was den Landarbeiterstand den Stempel der Vernachlässigung aufdrückt.

Nun sollen, wie gesagt, die Industriearbeiter eine Alters- und Invaliditätsversicherung erhalten, die Landarbeiter aber nicht. Nach all dem Gesagten möchte ich als Vertreter der Landarbeiter zunächst die Behauptung aufstellen, daß es die Landarbeiter genau so verdienen würden, in diese Versicherung einbezogen zu werden wie die ersteren. Wenn sie aber zurückgesetzt werden, dann sollen sie nicht lange nörgeln und schimpfen, im Gasthause oder zu Hause, denn das nützt ihnen wenig oder gar nichts. Aber erheben sollen sie sich aus ihrer für jeden sozialen Aufstieg geradezu verhängnisvollen Gleichgiltigkeit und öffentlich protestieren sollen sie darüber, daß man sie als Arbeiter allerletzter Kategorie beiseite schieben will. Dieser Protest aller Landarbeiter - in Oberösterreich allein sind derer über 100.000 - müßte gehört werden und es könnte ohne die Landarbeiter nicht zur Tagesordnung übergegangen werden. Um aber diesen Protest so eindrucksvoll als nur möglich zu machen und um ganz sicher zu gehen, sollten die Landarbeiter sich in einer Organisation zusammenschließen. In Oberösterreich besteht schon seit dem Jahre 1919 der christliche Landarbeiterbund, der zum kath. Volksverein gehört wie das Kind zur Mutter, dem viele Tausende landw. Arbeiter als Mitglieder angehören. Landarbeiter, hier habt Ihr Gelegenheit, Euch zu organisieren und hier könnt Ihr für die Altersverpflichtung erfolgreich kämpfen. Ohne Kampf gibt es keinen Sieg.

Landarbeiter, Ihr braucht die Altersversicherung genau so gut wie ein jeder andere schaffende Stand. Es kann ja nichts Traurigeres und Trostloseres geben, als nach einem Leben voll angestrengter Arbeit, voll Mühe und Schweiß, den Lebensabend in der Einlage von Tür zu Tür wandernd beschließen zu müssen. Denn mag auch die Pflege und Versorgung in der Einlage gut sein, so wird dennoch der Gedanke den Menschen zur Last sein, die Armen keinen einzigen tag mehr froh sein lassen.

- Also, auf Landarbeiter! Erhebt Euch! Schließt Euch zusammen! Es geht um Euch und Eure Zukunft! An Euch liegt es, ob Ihr die Altersversicherung erhaltet oder nicht.

Historischer Zeitungsartikel: Mühlviertler Nachrichten, 9.10.1925

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