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Der Bundespräsident fordert in Linz politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit

Linz, 6. Mai

Anläßlich der Eröffnung der Oberösterreichischen Industrie- und Gewerbeausstellung hielt Bundespräsident Dr. Renner eine politisch hoch bedeutsame Rede. Er beglückwünschte zunächst das Land Oberösterreich zu dem Erfolg seiner Bemühungen um den wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes, der um so bemerkenswerter sei, als Oberösterreich unter außerordentlich schwierigen Bedingungen zu arbeiten hat. In diesem Zusammenhang sprach der Bundespräsident der amerikanischen Militärverwaltung den besonderen Dank für ihre Hilfe aus, die sie beigetragen hat, die Wirtschaft wieder zu beleben.

"Überhaupt haben", so betonte der Bundespräsident mit besonderem Nachdruck, "die kommandierende Generalität, ihre militärischen Stäbe und ihre zivilen Experten nicht nur in Angelegenheit der Volksernährung, sondern in allen staatlichen Belangen uns ihr Wohlwollen bewiesen und auszuhelfen sich bemüht.

Wenn wir dennoch gezwungen sind, Kritik zu üben, so richtet sich diese gegen das System, nach dem die Besetzung hier aufgerichtet worden ist, ohne auf die Kleinheit unseres Landes, die Enge unserer Verhältnisse und die Tatsache, daß wir das erste Opfer der Annexion geworden sind, Rücksicht zu nehmen. Was im großen Maßstab des Deutschen Reiches oder Italiens berechtigt und möglich sein mag, wirkt in diesem engen Rahmen unerträglich.

Darunter leiden nicht nur wir, sondern auch die ausgezeichneten und wohlwollenden Männer, die dieses unhandbare System durchzuführen sich abplagen und dabei doch einen durchschlagenden Erfolg sich versagt sehen.

Das gilt insbesondere in bezug auf die Potsdamer Beschlüsse im Hinblick auf die Frage des deutschen Besitzes. Die Entscheidung dieser Frage zugunsten Österreichs wird zum Schicksal vieler unserer Arbeitsstätten werden, nicht zuletzt für die Hauptverkehrsader der Republik, die Donauschiffahrt.

Wir hoffen, daß alle jene, die mit uns der Auffassung sind, daß Österreichs politische Unabhängigkeit und Selbstständigkeit europäische Notwendigkeiten sind, uns auch darin beipflichten, daß eine politische Unabhängigkeit ohne wirtschaftliche Unabhängigkeit auf die Dauer unhaltbar wäre.

Unser Ziel lautet: Österreich den Österreichern, Österreichs Wirtschaftsgüter unter die oberste Verfügung des österreichischen Volkes und Staates."

Der Bundespräsident führte eine Reihe der bisher entstandenen Schwierigkeiten an, die der Erreichung dieses von der Regierung mit größter Energie angestrebten Zieles entgegenstehen. "Trotzdem", so rief der Bundespräsident aus, "trotz alledem diese Musterschau, dieser durch Leistung bekundete Lebenswille und Schaffenseifer. Ich hebe das ausdrücklich hervor, um dem albernen Gerede entgegenzutreten, das österreichische Volk lasse es an Tatkraft für den Wiederaufbau fehlen.

Dem Menschen allein ist es vorbehalten, über die der zugeführten Kalorienmenge entsprechende physische Kraft hinaus die moralische Entschlußkraft aufzubringen, für eine gewisse Spanne Zeit und bis zum Augenblick der Erschöpfung Mehrleistungen zu vollführen. Solche Mehrleistungen haben die Oberösterreicher aufgebracht. Dafür gebührt ihnen der Dank des Vaterlandes."