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HISTORISCHER ZEITUNGSARTIKEL:
Neues Österreich

17.10.1945

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Ungewünschtes Wunschkonzert

So wie die allgemein übliche Mahlzeit gemeinhin mit der Suppe beginnt, so beginnt das allgemein übliche Nachmittagskonert der Ravag gemeinhin mit Suppé, ich habe weder etwas gegen Suppe noch gegen Suppé, aber Radiomusik hat nur zwei Alternativen: man hört sie an oder man schaltet sie aus.

Hört man sie an, so ist man entweder musikalisch oder unmusikalisch. Ist man unmusikalisch, so läßt man sie in der Ecke tönen von früh bis nachts. Erstens, weil man ohnehin nicht zuhört, zweitens, weil (hört man dennoch zu) man ein "fis" von einem "des" und die "Apassionato" vom "Hollandweibchen" nicht unterscheiden kann.

Ist man aber musikalisch (und die Wiener sind musikalisch), so kann man "Dichter und Bauern" öfter als tausendmal nicht hören. Man kann nicht. Selbst wer mit übermenschlicher Langmut der Ravag eine Freude machen und zuhören will, man - kann nicht.

Ich weiß natürlich, daß nachmittags ohnehin nur Großväterchen und Großmütterchen über die Zeit verfügen, Ravagsendungen zu hören, und daß man einzig für sie diese Musikmumien Tag für Tag galvanisiert. Wir Jungen aber unter 60, wir bitten, nein, wir flehen kniefällig, mit unseren Gehörorganen kein Schindluder zu treiben, unsere Nerven nicht zu massakrieren, denn wir haben unseren Radioapparat nicht einzig zu dem Zweck erworben, ihn beständig ausschalten zu müssen.

Wir wollen hören - wir wollen hören, und zwar all das, was wir durch sieben Jahre nicht hören konnten und nicht hören durften. Was uns in diesen sieben Jahren aus gleichgeschalteten Sendern entgegenscholl, hängt uns, mit Verlaub gesagt, gar sehr zum Hals heraus.

Wir sind auch, auf Ehre, nicht mehr neugierig, was der Wind der Zarah Leander erzählt hat, man möge sie endlich in dem tiefen Keller ruhen lassen, aus dem sie lang genug ewig dasselbe Seelenschmalz emporgequetscht hat, wir wollen uns auch gar nicht mehr freuen, daß (in Berlin) Sonntag ist, und können versichern, daß jegliche "Spatzenkonzerte", Spree-Tarantellen und sonstige nordischen Tonfilmschlager mit ihrer Konfektionslyrik, mit ihrem verschwitzten Flanellgemüt, ihrer hölzernen Anmut und bleiernen Beschwingtheit uns allerheftiglichst die Nerven ansägen.

All das ist nicht nur bis zum kompletten Stumpfsinn abgeleiert; er ist das typische nazistische Wunschkonzert. Es fehlen bei Gott nur der "Zackige Emil" und die "Funkersoldaten". Und wer das mit anhören muß, ist jeden Augenblick gewärtig, das Gequake irgend eines Klein Siegfrieds, der zu Adolf Hitlers Ruhme soeben geboren ward, zu hören.

Aber glücklicherweise muß niemand müssen. Und glücklicherweise kann jeder, der gute Unterhaltungsmusik hören will, London, Hilversum oder Preßburg einschalten. Die Ravag indes möge sich von Geheimrat von Goethe sagen lassen: "Entzieht euch dem verstorbenen Zeug - Lebendiges laßt uns hören!"

H. K.

Historischer Zeitungsartikel: Neues Österreich, 17.10.1945

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