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HISTORISCHER ZEITUNGSARTIKEL:
Neues Österreich

11.10.1945

Historisches Logo der Zeitung »Neues Österreich«

Wir brauchen einen Stundenplan

Neulich kam ein Mann zu uns. "Sie müssen einen Stundenplan herausbringen", sagte er. "Einen Plan, auf dem ... Sie wissen doch selbst, wie das heute ist. Ich geh' zum Beispiel in die Stadt, um ein paar Besorgungen zu machen. Man muß eh so viel herumlaufen, darum arrangiere ich es mir so, daß ich gleich einige Sachen auf einmal erledigen kann.

Ich gehe zuerst zum Greißler. Der hat zwar gerade keine Ware, aber er hat doch den Laden auf. Dann besuche ich den Buchhändler. Es ist gerade 12 Uhr geworden, und man macht mir die Türe vor der Nase zu. Gut, ich schreibe mir die Öffnungszeiten auf und komme am nächsten Tag wieder. Das gewünschte Buch hat er zwar nicht, aber er nennt mir einen Geschäftsfreund, wo ich es wahrscheinlich bekomme. Leider hat dieser Laden heute überhaupt nicht geöffnet.

Aber, so denke ich, jetzt bist du gerade in der Nähe, jetzt könntest du beim Optiker deine Brille abholen. Wie ich hinkomme, stelle ich fest, daß der Optiker nur am Nachmittag zu sprechen ist. Aber da in der Nähe könnte ich mir endlich das langersehnte Paßbild mache lassen, das ich brauchen werde, wenn es die neuen Ausweise gibt. Doch nein, das geht auch nicht, hier knipst man nur Montag, Mittwoch, Freitag, und auch dann nur nach Voranmeldung. Na, gut.

Aber gleich um die Ecke ist das Stammcafé von meinem Freund Franzl. Es wäre jetzt gerade die richtige Zeit, wo man ihn antreffen kann, und ich hätte dringend mit ihm zu reden. Pech! Das Café hat nun gerade um 1 Uhr zugemacht."

"Wird man da nicht verrückt? Was der Wiener heute braucht, ist ein Plan, auf dem genau verzeichnet ist, wann jedes Geschäft, jeder Handwerker, jedes Lokal geöffnet hat. So kann man sich Zeit und Wege sparen. Wir brauchen natürlich anderes auch, zum Beispiel Holz und Kohle, und gelegentlich eine kleine Extrazuteilung auf die Karten. Aber das können wir nicht so leicht haben, während so ein kleiner Plan ..."

So redete unser Besucher beschwörend auf uns ein. Er verwies auf den traurigen Zustand seiner Stiefelsohlen, der, wie er sagte, zu 51 1/2 Prozent auf zwecklose Wege infolge des Fehlens eines solchen Zeitplanes zurückzuführen sei. Tief geknickt verließ er uns, nachdem wir ihm vergeblich klarzumachen versucht hatten, daß wir selbst nicht über genügend Stiefelsohlen verfügen, um hinter dem komplizierten Stundenplan, nach dem der Wiener heute lebt, herzulaufen.

B.

Historischer Zeitungsartikel: Neues Österreich, 11.10.1945

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